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Umstrittene These Parasit könnte menschliches Verhalten steuern

Der Parasit Toxoplasma gondii macht es sich in Katzen gemütlich, aber auch in vielen Menschen. Bislang gilt er nur für Schwangere und Immunschwache als gefährlich. Doch ein tschechischer Forscher ist davon überzeugt, dass der Erreger sogar unser Verhalten beeinflussen kann.

Am Anfang fehlten die Mäuse. Eigentlich wollte Jaroslav Flegr, Evolutionsbiologe an der Universität Prag, untersuchen, ob der Parasit Toxoplasma gondii das Verhalten der Nagetiere beeinflusst. Hinweise darauf gab es, Flegr hätte gern mehr herausgefunden, doch Versuchstiere zu halten wäre damals, Anfang der neunziger Jahre, zu teuer gewesen.

Toxoplasma gondii: Steuern mikroskopisch kleine Lebewesen unser Verhalten mit?

Toxoplasma gondii: Steuern mikroskopisch kleine Lebewesen unser Verhalten mit?

Foto: Corbis

So kam er auf die Idee, der Sache bei Menschen nachzugehen. Die musste er nicht füttern und pflegen, und er konnte sie ganz leicht testen. Doch seine Frage war kühn: Verändert der als harmlos geltende Parasit, mit dem in Deutschland mindestens jeder Dritte infiziert ist, das Wesen seiner menschlichen Wirte? "Ich bin davon überzeugt", sagt Flegr heute.

Seine Vermutung birgt Sprengkraft, sie könnte das Bild des Menschen auf den Kopf stellen. Hat Flegr recht, dann steuern mikroskopisch kleine Lebewesen unser Verhalten mit. "Diese Vorstellung", sagt Flegr, "ist auch für viele Wissenschaftler schwer zu akzeptieren."

Abwegig ist sie nicht. Schon seit den dreißiger Jahren beobachten Forscher an Tieren, dass Parasiten ihre Wirte manipulieren. Der kleine Leberegel etwa bringt Ameisen dazu, sich über Nacht an den Spitzen von Grashalmen festzuklammern. So werden sie morgens leichter von weidenden Schafen oder Rindern gefressen, in deren Körpern der Parasit sich vermehren kann. Saugwürmer machen Fische zappelig, damit diese von Seevögeln, den Endwirten des Parasiten, eher gesehen werden. Und Saitenwürmer treiben ihre Wirte - Grillen, in deren Hinterleib sie sich entwickeln - geradewegs in den Selbstmord. Ist der Wurm in ihnen ausgewachsen, hüpfen die Grillen ins Wasser, obwohl sie überhaupt nicht schwimmen können. Der Wurm kann sich jedoch dort vermehren. Nur dort.

Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins erklärt das Phänomen so: Lebewesen passen sich im Lauf der Evolution immer besser an ihre Umwelt an. Irgendeine genetische Veränderung erweist sich als besonders praktisch, um mit den Umweltbedingungen klarzukommen - ihr Träger kann sich erfolgreicher vermehren, die Mutation setzt sich nach und nach durch. Und in manchen Fällen, meint Dawkins, bedeute Anpassung eben auch Manipulation anderer Organismen.

Die einzelligen Toxoplasmen brauchen mehrere Wirte, um zu überleben und sich zu verbreiten. Vermehren können sie sich nur in den Därmen von Katzen. Dort entstehen infektiöse Zellen, die mit dem Kot ausgeschieden werden und bis zu einem Jahr in feuchter Erde und eventuell sogar im Wasser überleben können. Nimmt ein Säugetier diese Zellen auf, versteckt sich der Parasit in dessen Körper vor dem Immunsystem und wartet, bis er irgendwann wieder im Bauch einer Katze landet - weil er mitsamt dem Zwischenwirt gefressen wurde. Es wäre also ein echter Vorteil für den Parasiten, wenn er seinen Zwischenwirt, eine Maus etwa, so manipulieren könnte, dass der mit höherer Wahrscheinlichkeit als Katzenfutter endet.

Und tatsächlich: Mäuse und Ratten, die mit Toxoplasmen infiziert werden, verhalten sich merkwürdig. Statt beim leisesten Anschein einer Katze das Weite zu suchen, werden sie von deren Geruch geradezu angelockt. Offenbar ruft der Parasit in den Gehirnen der Tiere Reaktionen hervor, die sie zu willigen Opfern von Katzen machen und ihn ans Ziel bringen - in den Katzendarm.

Das liegt wohl daran, dass Toxoplasmen nicht nur in Organe wie Augen oder Hoden wandern, in denen die Immunabwehr nicht so scharf gestellt ist, wie Forscher um Antonio Barragan im Zentrum für Infektionsmedizin am Karolinska-Institut in Stockholm beobachteten. Sie streben auch dorthin, wo Verhalten und Persönlichkeit gesteuert werden: ins Gehirn. Dazu verstecken sie sich in Zellen des Immunsystems und überwinden so die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn eigentlich vor Infektionen schützen soll.

"Zombies" nennt Barragan die gekaperten Immunzellen, denn offenbar gelingt es dem Parasiten, die Zelle mit Proteinsignalen zielgerichtet durch die Blutgefäße zu manövrieren. Hat er sich ins Gehirn geschleust, verkapselt er sich in Zysten und wartet, bis die Maus von der Katze verspeist wird. Und genau diese Zysten im Kopf könnten den Gehirnstoffwechsel so verändern, dass das Tier seine Angst vor Katzen verliert.

Angesichts der Millionen Jahre Evolution seien solche schier unglaublichen Anpassungen gar nicht überraschend, meint der Zoologe Joachim Kurtz, der an der Universität Münster ein Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft koordiniert, das die gemeinsame Evolution von Parasiten und ihren Wirten untersucht. "Parasiten wie Toxoplasma unterliegen aufgrund ihrer komplizierten Übertragungswege einem sehr starken Selektionsdruck", sagt Kurtz. Daher müssten sie sich optimal an ihre Wirte anpassen. Eine gezielte Manipulation des Wirtes? Das klingt unwahrscheinlich. "Aber dass sich so etwas Kompliziertes wie das menschliche Auge entwickelt hat, ist ja ähnlich unwahrscheinlich und trotzdem passiert", sagt Kurtz.

Das Brisante: Auch bei Menschen verstecken sich Toxoplasmen im Gehirn. "Man kann davon ausgehen, dass jeder, der mit Toxoplasma infiziert ist, winzige Zysten im Gehirn hat", sagt Carsten Lüder, der an der Universität Göttingen untersucht, wie der Parasit das Immunsystem manipuliert. Die Infektion ist meist harmlos. Bisher gilt der Parasit nur für Schwangere und Menschen mit schwachem Immunsystem als gefährlich, denn er kann die Entwicklung des Ungeborenen beeinflussen und bei schwacher Abwehr Gehirnentzündungen hervorrufen.

Beweisführung bleibt schwierig

Doch bleiben alle übrigen Infektionen tatsächlich völlig folgenlos? "Der Gedanke, dass es auch beim Menschen Manipulationen durch Parasiten geben könnte, ist nicht abwegig", sagt Kurtz. Beispiele dafür gibt es genügend: Der Plasmodium-Parasit, der Malaria verursacht, ändert möglicherweise den Geruch seiner Opfer so, dass diese für Anopheles-Mücken, die Überträger der Krankheit, besonders attraktiv duften, ergab eine französische Studie. Berichten zufolge steigert der Erreger der "Lustseuche" Syphilis, ein Bakterium, die sexuelle Aktivität infizierter Menschen. Und niesen wir bei einem Schnupfen wirklich, um die Krankheitserreger aus den Atemwegen herauszuschleudern? Oder nutzt das Erkältungsvirus den Reflex, um sich zu weiteren Opfern befördern zu lassen? Beim Erkältungsvirus hat das noch niemand untersucht, Daten gibt es nur zu Toxoplasma.

Rund zehntausend Menschen hat Jaroslav Flegr inzwischen auf den Parasiten getestet und mit Fragebögen sowie psychologischen Tests untersucht. Flegr ist sicher: Toxoplasma verändert das Verhalten der infizierten Menschen.

Die Studien des Forschers zeigen, dass befallene Männer misstrauischer und laxer gegenüber gesellschaftlichen Normen sind. Frauen dagegen entwickeln sich genau entgegengesetzt. Sie werden warmherziger und folgsamer gegenüber Regeln. Beide Geschlechter neigen zu mehr Schuldgefühlen. Sie zweifeln mehr an sich, machen sich mehr Sorgen, sind unsicherer. Und sie schneiden in Reaktionstests deutlich langsamer ab als Nichtinfizierte. Sie verursachen sogar mehr Verkehrsunfälle.

Für den tschechischen Biologen gibt es ein Indiz dafür, dass dieser Wandel wirklich mit dem Parasiten zusammenhängt: Die Menschen veränderten sich umso stärker, je länger sie infiziert waren.

Flegr klingt ein bisschen müde, oft hat er seine Ergebnisse erläutert, oft stieß er auf Skepsis. Denn es gibt ein Problem mit seinen Untersuchungen: Zwar hat er inzwischen riesige Datenmengen, die Statistik ist solide, die Ergebnisse ließen sich etliche Male wiederholen. Doch er kann nicht beweisen, dass tatsächlich der Parasit Toxoplasma für die Persönlichkeitsveränderungen verantwortlich ist.

Dazu müsste Flegr die biochemischen Prozesse im Gehirn aufklären, die zu der Persönlichkeitsveränderung führen. Das ist mit derzeitigen Analysetechniken jedoch etwa so Erfolg versprechend, wie Leben im All zu finden. Oder er müsste Menschen mit Toxoplasma infizieren, um wirklich belegen zu können: Ja, es ist der Parasit, der das Verhalten ändert. Das aber wäre unmoralisch. Also kann er nur statistische Zusammenhänge ermitteln.

"Ich halte die Beobachtung durchaus für plausibel - allerdings mit der Einschränkung, dass es bisher keine Belege für einen kausalen Zusammenhang gibt", sagt Joachim Kurtz über Flegrs Studien. Bisher ist unklar, ob die Veränderungen, die die Toxoplasmen verursachen, typisch für diese Parasiten sind oder eine Folge der Infektion im Gehirn. Ähnliche Veränderungen wie bei den Toxoplasma-Infizierten stellte ein Forscherteam um Flegr auch bei Menschen fest, die mit dem Zytomegalie-Virus infiziert sind - einem Herpes-Virus, das etwa 70 Prozent der Bevölkerung in sich tragen und das sich wie Toxoplasma jahrelang scheinbar folgenlos im Gehirn versteckt. Eine mögliche Erklärung: Um die Infektionen im Gehirn in Schach zu halten, bildet das Immunsystem Zytokine, Entzündungsbotenstoffe, die wiederum Nervenbotenstoffe wie Dopamin beeinflussen - und damit das Verhalten.

Denkbar, dass Toxoplasma auch den Haushalt des männlichen Hormons Testosteron beeinflusst. Hinweise darauf hat Flegr bei seinen Studien gefunden. Toxoplasmainfizierte Männer werden als dominanter wahrgenommen, infizierte Frauen gebären mehr männlichen Nachwuchs.

Warum jedoch sollte Toxoplasma Menschen manipulieren, obwohl die nicht von Katzen gefressen werden? "Heute nicht mehr. Aber es ist gut möglich, dass unsere Vorfahren vor Hunderttausenden von Jahren zu den Beutetieren von Großkatzen gehörten", spekuliert Flegr.

Dass Menschen, die mit dem Parasiten infiziert sind, oft verlangsamte Reaktionen haben, ist also möglicherweise kein Zufall: Ihre Vorfahren könnten so leichtere Beute für Raubtiere gewesen sein. Inwiefern es für die Toxoplasmen von Nutzen sein könnte, wenn Männer misstrauischer sind und Frauen sich strenger an Regeln halten, ist allerdings bisher unklar.

"In zehn, zwanzig Jahren werden wir genauer wissen, ob und wie Parasiten auch den Menschen manipulieren", sagt Joachim Kurtz. Dann dürften es neue Analysetechniken ermöglichen, im Hirnstoffwechsel gezielt nach veränderten Proteinen oder Botenstoffen zu suchen oder das komplexe Zusammenspiel zwischen Immunsystem und zentralem Nervensystem besser zu verstehen.

Die Erwartungen von Jaroslav Flegr lassen jedenfalls schaudern: "Es gibt mit Sicherheit Parasiten, die das menschliche Verhalten noch sehr viel stärker beeinflussen als Toxoplasma."

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